Loslassen

Neulich begegnete mir folgendes:

“Ich kann nur sagen: Ich weiß gar nichts mehr. Was ich will, was ich nicht will, konkret: ob ich diesen Mann überhaupt noch will, oder nicht – wobei ich noch immer den Zauber spüre, der von ihm auf mich ausgeht, auch aus der Ferne.

Das einfach sein lassen können, das ist schon mal eine Errungenschaft, nicht mehr ZWANGHAFT zu meinen, nicht ohne ihn leben zu können, das ist neu und hat etwas Solides, etwas Nüchternes, Realistisches.”

Nach einer kurzen Pause erwähnte sie, dass sie vor einigen Monaten mal gelesen habe: „Ich habe ihn losgelassen, auf dass er zu mir zurückkehre, als er zurück kam, wollte ich ihn nicht mehr.“

Kann man einen solchen Satz als hilfreich ansehen, fragte ich mich.

Loslassen ist radikal, nicht final.

Auf dass, damit, um zu… Loslassen als Trick 17. Was soll das für ein Loslassen sein, wenn damit eine Absicht verknüpft ist? Wenn ich nicht selbstbestimmt mein Leben lebe, sondern mich gemäß einer Vorstellung von etwas, was sein könnte, gefangen nehmen lasse, dann muss ich lernen, diese Vorstellung los zu lassen. Das Austauschen von Vorstellungen als Lösung, als ein Loslösen von meinen Verhaftungen ist pure Illusion. Ich “treibe den Teufel mit Beelzebub aus”. Ein Leben im Konjunktiv.

Loslassen heißt mit der Wurzel ausreißen, tabula rasa, auch noch das Fundament erschüttern. Kein Schmetterling erhebt sich, solange die Raupe noch lebt. Das “Stirb und werde!” kommt uns hart an, aber tatsächliche Transformation bedarf dieser Radikalität.

Hanswerner Herber

 

Wir haben, wo wir uns lieben, ja nur dies: einander lassen;
denn daß wir uns halten, das fällt uns leicht und ist nicht erst zu erlernen.

Rainer Maria Rilke

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