Intuitionsarbeit

Entscheidungen müssen getroffen werden. Was nun? Wie weiter? Erinnern wir uns an die Geschichte des Autokäufers, der gut vorbereitet ins Verkaufsgespräch geht. Er hat eine Vorstellung von PS und Hubraum, besitzt ein valides Vorwissen, kennt seinen finanziellen Spielraum, hat die Bedürfnisse der Familie im Blick. Damit filtert sich das infrage kommende Modell schnell heraus. Und siehe da, genau dieses Modell steht zum Einsteigen bereit da. Zusätzlich lockt ein nicht unerheblicher Bonus. Er muss sich nur noch entscheiden, denn es steht gleich zweimal da: schwarz und weiß. Jetzt setzt die Blockade ein. Über die Farbe hat unser Käufer nun gar nicht nachgedacht. Die Schweißperlen auf seiner Stirn sind ein guter Indikator für die erhebliche Stoffwechselleistung des Großhirns. Warum nicht eine Münze werfen?

Wir schauen später nochmal nach ihm und fragen ihn, wieso er noch im Flug der Münze wusste, welches Auto es nicht sein würde. Zwischenzeitig reisen wir ins alte China und meditieren über das Yin-und-Yang-Kreisbild als ein Modell für den schöpferischen Wandlungszyklus.

Der oberste (1) Punkt bezeichnet die höchste Ausprägung des einen Pols, während der unterste (3) die vollständigste Manifestation des entgegengesetzten Pols darstellt. Die in der Horizontalen liegenden Punkte (2,4) sind

jeweils die Momente, in denen ein Pol endgültig in den anderen umschlägt.

Für unser Lebensverständnis kommen wir zu vier ganz wesentlichen Erkenntnissen (Lutz Müller):

1. Unser Dasein beruht auf Polaritäten, die untrennbar zusammengehören, sich wechselseitig bedingen und hervorrufen. Auf Grund dessen, dass unsere Bewusstseinsentwicklung auf der Unterscheidung und Trennung einzelner Wahrnehmungsinhalte beruht, gibt es keinen abgegrenzten Standpunkt und keine formulierte Position, zu der nicht das Gegenteil aufzufinden wäre.

2. In jedem Pol ist latent und keimhaft der entgegengesetzte Pol enthalten. Dies ist so auf Grund ihrer inneren Verwandtschaft. Je stärker ein Pol bewusst betont und verabsolutiert wird, desto stärker wird der unbewusste Anspruch des gegenteiligen Pols.

3. In jedem lebenden und sich verändernden Organismus oder System kehrt sich ein Pol, wenn er seine höchste Ausfaltung erreicht hat, allmählich in seinen Gegenpol. Heraklit hat dies Enantiodromie genannt.

4. Die Verkehrung eines Pols in seinen Gegenpol lässt sich anhand des Yin-Yang-Kreismodells sehr gut darstellen, indem man im Uhrzeigersinn um den Kreis herumgeht. Zwar sind die Übergänge von einem Pol zum anderen fließend, aber zum Zwecke einer überschaubaren Gliederung des Wandlungsvorgangs lassen sich vier zentrale Punkte und vier Phasen unterscheiden.

Bezogen auf die Intuitionsarbeit können wir ebenfalls vier Phasen unterscheiden:

  1. Präparation
  2. Inkubation
  3. Illumination
  4. Verifikation

(1)  Das Problem wird als solches erkannt

Die erste Phase ist die Einstimmung auf das Problem. Informationen werden gesammelt. Man ist emotional mit dem Problem identifiziert, die Lösung wird aber auf der bewussten Ebene gesucht. Über das Entdecken und Sammeln von Informationen über das Problem wird ein Wissen aufgebaut, dass einem gestattet Antworten in den vertrauten Bereichen zu suchen und in alten Bewusstseinseinstellungen zu verharren. Aus diesem angesammelten Rohmaterial werden später kreative Lösungsansätze entwickelt. Zugehörige Tugend: Flexible Lernbereitschaft. Die Hirnforschung hat mittlerweile bewiesen, dass Achtsamkeitsübungen dem Prozess dienlich sind.

(2)  Man glaubt, nie eine Lösung zu finden, und fühlt sich schlecht

Der nach Heilung Strebende in der antiken Welt verbrachte eine Nacht im Schlafraum (Cubiculum) des Tempels. Die aufsteigenden Traumbilder dienten den Priesterärzten als erstes Material für die (Be-)Deutung der Erkrankung des Ratsuchenden. Inkubation meint während dieser Kreativitätsphase nicht das bewusste geistige Ringen um und mit Rohmaterial, sondern einen Reifeprozess. Man muss sich dem unbekannten schöpferischen seiner Seele überlassen. Diese Phase des Innehaltens und des inneren Loslassens, des Warten Könnens, der Hingabe erfordert die Tugend der Geduld (patientia). Die in der ersten Phase angesammelten Informationen sinken in das Unterbewusstsein ab und werden dort schwebend weiterverarbeitet.

(3)  Der Geistesblitz

Hier erscheint plötzlich eine Lösung, eine Erleuchtung oder auch ein Aha-Erlebnis, häufig unvermutet, bei unerwarteter Gelegenheit und unscheinbarem Anlass. Dabei handelt es sich um eine Einsichtsphase, die das Erlebnis des Richtigseins beschreibt. Die unvoreingenommene Aufnahme der neuen Idee ist Voraussetzung für die intuitive Offenheit.

(4)  Machbarkeit und Umsetzung

Die gefundenen Lösungsansätze werden systematisch auf ihre praktische Anwendung hin ausgearbeitet und die gewonnenen Einsichten auf Machbarkeit überprüft, bevor sie in die Realität umgesetzt werden. Hier bedarf es der Tugenden des Mutes, der Tatkraft und der Entschiedenheit, da in dieser Phase die gefundenen Einsichten von der Umgebung gerne angezweifelt werden. Gerade Entscheider, die sich auf rationale Lösungswege beziehen, sind ihrer defensiven Haltung verpflichtet: Nur kein Risiko eingehen! Dieses Motto macht Politik uninspiriert und manche Wege im Wissenschaftsbetrieb mühsam.

Akademische Welt und Fundamentalismus sind zwei verschlossene Kästchen, in denen jeweils der Schlüssel zum andern liegt.
Isak Dinesen
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Im nächsten Blog untersuchen wir, was Resonanzphänomene mit Intuition zu tun haben.

Hanswerner Herber

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