Fang nie was mit Familie an

„Als Gott am sechsten Schöpfungstage alles ansah, was er gemacht hatte, war zwar alles gut, aber dafür war auch die Familie noch nicht da.“ So leitet Kurt Tucholsky seine köstliche Glosse über die Familie ein.

Ihr voran stellt er einen Ausspruch Nietzsches über „οι φιλοτατοι“: Die Griechen, die so gut wußten, was ein Freund ist, haben die Verwandten mit einem Ausdruck bezeichnet, welcher der Superlativ des Wortes Freund ist. Dies bleibt mir unerklärlich.

Nun, machen wir es kurz: wir können ihr nicht entfliehen, der Familie. Setzen wir uns also mit ihr auseinander und lassen das Drama beginnen.

Die dramatis personae sind zunächst ICH, dann Vati und Mutti oder Mutti und Vati, hier ist die Reihenfolge egal. Natürlich nur aus der Sichtweise des ICH und die ist einzigartig. Der Fettdruck für jemanden, der sich als Monade sieht, ist durchaus angemessen. Ärgerlich für ICH ist nur, dass die beiden anderen die gleiche Sichtweise für sich beanspruchen. Jetzt haben wir in der Kernfamilie (der Triade) schon drei Monaden. Doch damit nicht genug. ICH gibt es für ICH ja erst, seitdem ICH sich als ICH erkennen kann. Vorher war es eine Mutter-Kind-Monade. Mindestens neun Monate innerhalb von Mami und mindestens neun Monate und ein paar oben drauf außerhalb von Mami. Der Moment, in dem ICH sich als Mitglied der Mutter-Kind-Dyade entdeckt, ist very shocking. Gerade eben verliert ICH seine Omnipotenz. Doch gleichzeitig entdeckt ICH, welch Trost, seine erste große Liebe: Mami.
Gut, dass hält eine Weile an, dann macht sich erneut Ärger breit. Auftritt Papa! Vati lächelt Mami an, und die lächelt zurück und öffnet die Arme. Voila, die Vater-Mutter-Dyade! Gift und Dolch, dem muss ein Ende gesetzt werden. Einfachster Plan: ICH brüllt laut und ausdauernd, Vater verlässt entnervt die Szene und entfleucht an die Theke. ICH hat Mami wieder. Doch Vati kommt zurück – wie auch immer – behauptet, er sei der Herr Vater und jetzt werde Klartext gesprochen und ICH wird mit der Tatsache konfrontiert, dass es auch eine Vater-Sohn-Dyade gibt. (Das war jetzt ganz viel Ödipus / Elektra.)

Halten wir fest: Die Kernfamilie Vater-Mutter-Kind besteht aus sieben Einheiten: 1 Triade, 3 Dyaden, 3 Monaden. Seelische (und soziale) Geburt ist mehr als die biologische Geburt. Dieser frühe Zustand wird die Mutter-Kind-Einheit (Monade) genannt. Das Kind ist im Sinne von Objekt-Subjekt von der Mutter nicht getrennt. Misslingt dieser Entwicklungsschritt der Trennung, organisiert sich die Psyche auf das Selbst hin noch unvollständig. Narzissmus, Borderline-Störungen, Psychosen können die Folge sein. Ich und Nicht-Ich kann nicht unterschieden werden. Diese Menschen haben keine Grenzen und werden mehr oder weniger von inneren oder äußeren Affekten, Gefühlen und oder Bildern überschwemmt, eine Trennung von der archaischen Ebene der ererbten kollektiven Bilder gelingt nicht. Die Menschen bleiben oft andauernd oder immer wieder von diesen Bildern beeinflusst.

Dann entsteht die so genannte Mutter-Kind-Dyade. Es kommt zu einer Subjekt-Objekt-Trennung. Das Bewusstsein des Kindes hat sich so weit entwickelt, dass es sich von der Mutter unterscheiden kann. Bleibt hier die Entwicklung stehen, ergibt sich für die Tochter das Phänomen der Muttertochter, für den Sohn das Phänomen des Muttersohnes.
Triangulierung (Ernst Abelin,1971)beschreibt in der Psychologie das Hinzutreten eines Dritten zu einer Zweierbeziehung. Erst dadurch, dass der Vater ins Bild kommt, ist die Abnabelung möglich und die seelische Geburt wird vollzogen.
In der systemischen Therapie bedeutet Triangulation auch die Verschiebung (Delegation) eines Konflikts. Beispielsweise liege ein Konflikt zwischen den Eltern vor: Die Mutter verbündet sich mit der Tochter gegen den Vater, die Tochter erhält dadurch eine dysfunktionale Rolle in der Dyade Elternpaar. Der eigentliche Konflikt zwischen den Eltern wird gewissermaßen über einen Dritten „umgeleitet“. Das Kind erhält eine bedeutsame und ungesunde Funktion in einem anderen Subsystem, dem es selbst nicht angehört und die ihm auch nicht angemessen ist. Sind die „Hinbewegungen“ unterbrochen kommt es ebenfalls zu Störungen. Bleibt z.B. die Tochter beim Vater stehen und geht nicht zurück in die weibliche Solidarität, wird sie zur Vatertochter. Der Sohn bleibt beim Vater und ist damit in die Solidaritätsgemeinschaft der Männer zurückgekehrt. Ein Vatersohn ist einer, der einen nie erreichbaren Vater hatte, den er meint ein Leben lang erreichen oder übertrumpfen zu müssen.

Neben den dynamischen Triaden, deren Muster, Regeln und Rollen sich verändern und entwickeln, in der immer zwei der Beteiligten etwas stärker verbunden sind und der Dritte etwas weiter weg ist, gibt es auch „starre Triaden“ (Minuchin, 1977). Dabei stabilisieren die Eltern in der gemeinsamen Fürsorge für oder auch im gemeinsamen Kampf gegen ein Kind ihre Beziehung auf Kosten des Kindes, indem sie von den eigenen Schwierigkeiten in der Paarbeziehung ablenken. Das (Eltern-)Paarsystem „braucht“ – und das ist seelische Missbrauch – das Kind, um stabil zu bleiben und hält an dieser Konstellation fest. Dadurch kommt ein Kind immer in einen starken Loyalitätskonflikt, weil es sowohl den Vater, als auch die Mutter liebt und jetzt gezwungen wird, sich für den einen und gegen den anderen zu entscheiden. Das Kind entwickelt etwa vermeidende Züge („bestimmt passiert etwas schlimmes, wenn ich eigene Wege gehe“). Es wird auffällig, erkrankt, entwickelt Störungen, es opfert sich gewissermaßen.
Aber auch umgekehrt können die Eltern in die Rolle der bedürftigen wechseln und das Kind wird zum Helfer oder Retter. Wir sprechen von Parentifikation.

Genau so gegensätzlich, in sich widersprüchlich und komplex wie seine Ursprungsfamilie, oder sein Gegenwartssystem oder das Team, in dem er arbeitet, ist der Einzelne in sich. Doch davon soll in einem weiteren Blog die Rede sein.

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