
Ich:
Acryl und Pigmente auf Steinpapier, 59.4×42 Titel nenne ich Dir, nachdem ich Deinen Assoziationen gelauscht habe.
ChatGPT:
Danke für Deine Einladung zum dialogischen Sehen – ich lausche dem Bild gerne mit Dir.
Die erste Assoziation, die sich mir aufdrängt, ist ein „Zeichen“ – fast runenhaft, als wäre es ein Fragment einer älteren, verschütteten Sprache. Die dominante Gelbform wirkt wie ein abstrahiertes X oder eine Gestalt in Bewegung, ein Tanz zwischen Aufrichtung und Kollaps, Aufbäumen und Niederknien. Vielleicht ein gefallener Engel? Oder ein heroisches Zeichen, das seine Strahlkraft mit dem Schwarz des Zweifels ringend behauptet.
Die grün-blaue Wolkung auf der rechten Schulterpartie mutet fast wie ein oxidierter Abdruck an – als hätte sich hier eine alte Rüstung oder eine organische Spur eingeprägt. Oder ist es ein Herzschlag? Ein Tumult? Die Farbe wirkt wie ein Eingriff, eine Verletzung – oder ein Heilungsversuch.
Der Bildhintergrund, dieses changierende Grau mit leichtem Türkis, suggeriert Nebel, Asche, Rauch. Es könnte ein Ort nach dem Ereignis sein – Nachhall einer Tat, eines Umbruchs. Alles in allem ein „Schauplatz“, der gleichzeitig Bühne und Befund ist.
Wenn ich einen Arbeitstitel formulieren müsste, wären erste Vorschläge:
- „Nach der Geste“
- „Zeichen im Übergang“
- „Reliquie eines Aufstands“
- „Oxidiertes Herz“
- „Der zweite Schlag“
- „Anamnese“ (im doppelten Wortsinn: medizinisch wie mythisch)
Ich bin sehr neugierig, welchen Titel Du vergeben hast – oder ob wir ihm gemeinsam noch näherkommen wollen.
Ich:
Ich hatte vor dem Farbauftrag auf die leere Fläche Linien eingeritzt. Kannst Du das bei der Auflösung erkennen?
ChatGPT:
Ja, das lässt sich bei dieser Auflösung durchaus erkennen – wenn auch subtil. Besonders im unteren und mittleren Bildbereich treten die eingeritzten Linien in Erscheinung, dort, wo das Gelb auf dunklere Partien trifft oder sich das Schwarz etwas lichtet. Sie wirken fast wie feine Narben oder Gravuren, die sich durch Farbe und Fläche ziehen – manchmal wie eingestanzte Erinnerungen im Bildkörper selbst.
Im Zusammenspiel mit der grobkörnigen Struktur der Pigmente und dem changierenden Hintergrund verleihen diese Linien dem Werk eine zusätzliche Tiefenschicht. Es entsteht der Eindruck, als sei da etwas unter der Oberfläche eingeschrieben, das sich nicht vollständig bemächtigen lässt – Spuren, die der Farbauftrag nicht überdecken konnte oder sollte.
Gerade im Kontext der Bildsprache – zwischen Geste, Formzerfall und energetischem Abdruck – erhalten diese Ritzlinien etwas Archäologisches: wie kartierte Nervenbahnen oder ein palimpsestartiges Echo vorangegangener Bewegung.
Wenn Du magst, könnten wir den Vorgang des Einritzens als schöpferische Geste weiterdenken: Als Akt der Einschreibung vor dem Auftreten des Sichtbaren.
Ich:
Gut, dann mein Titel: „Fadengänge“ Assoziationen dazu: – Lebenslinien – positio fibrarum (Campe, J.H.) – Fasern von Broca zu Wernicke (arcuate fasciculus im Sprachzentrum) – positio uteri, Halteapparat
ChatGPT:
„Fadengänge“ – das ist ein starker, poetischer Titel. Er öffnet ein ganzes Assoziationsgeflecht, das wunderbar zu den Ritzspuren und dem spannungsvollen Gefüge Deines Bildes passt. Deine Bezüge vertiefen die Deutungsebene auf faszinierende Weise:
– Lebenslinien: Das Bild wird lesbar wie eine Haut oder ein gelebter Körper – Narben, Wege, vielleicht auch das, was sich nicht glatt erzählt.
– positio fibrarum (Campe): Der Rückgriff auf eine alte morphologische Sprache verleiht dem Werk beinahe einen sezierenden Ernst, als würde es sich um die anatomische Aufzeichnung eines inneren Vorgangs handeln – aber nicht kühl, sondern fast ehrfürchtig.
– Broca–Wernicke-Fasern: Da schwingt die Verbindung von Sprache, Wahrnehmung und Geste mit. Deine Linie führt nicht nur, sie spricht – oder sie ist der Rest eines gesprochenen Gedankens, der sich ins Bild eingeschrieben hat.
– Uterus-Halteapparat: Auch hier: Spannung, Hängung, Gehaltensein. Vielleicht sogar: der Ort, wo Anfang und Tragfähigkeit zusammenfallen – symbolisch und anatomisch. In diesem Licht bekommt die mittlere Gelbform fast einen anthropomorphen Charakter: ein tragendes Zentrum, durchwirkt von unsichtbaren Bändern, gehalten – und im Werden begriffen.
**
Du nennst mit „Fadengänge“ nicht nur ein formales Merkmal, sondern hebst es in den Rang einer existenziellen, vielleicht sogar semiotischen Struktur: Linien als Weg, als Spur, als Gewebe des Inneren. Vielleicht sind diese Fäden auch die Möglichkeit, Zusammenhang zu stiften im Offenen, Fragmentarischen.
Möchtest Du daraus noch einen kurzen Begleittext entwickeln? Ich würde ihn gerne mit Dir entwerfen.
Ich:
Gerne und gerne auch einen zweiten lyrischen im Stil von Gottfried Benn.
ChatGPT:
Wunderbar! Ich schlage vor, wir beginnen mit einem kurzen Begleittext, der den Titel „Fadengänge“ mit Deinen Assoziationen in Beziehung setzt – sachlich-poetisch, für Ausstellung oder Website geeignet. Danach folgt eine zweite, lyrische Version – im Duktus eines späten Benn, knapp, kühl, verdichtet, mit einer Prise existentieller Morphologie.
Begleittext (prosaisch-poetisch):
Fadengänge – eingeritzte Linien durchziehen die Fläche wie Narben, wie Nervenbahnen, wie topographische Eintragungen ins Unbewusste. Sie entstehen vor dem Farbauftrag – als primäre Geste, als taktile Erinnerung. Die sichtbare Form legt sich darüber, durchdrungen, nicht verdeckend.
Die Komposition oszilliert zwischen anatomischer Genauigkeit und gestischer Auflösung. Lebenslinien, Haltespannungen, Sprachverbindungen: die positio fibrarum als ästhetisches Prinzip. Es sind Fäden, die tragen, verbinden, erinnern – und zugleich immer wieder reißen könnten.
„Fadengänge“ evoziert Körperräume wie geistige Zonen – eine Kartographie des Spürens und Verlierens. Was bleibt, ist eine Spur. Oder deren Echo.
Lyrische Fassung (im Stil Gottfried Benn, spät):
fadengänge
riss in der grundfläche
vor der farbe
– nerv, narbe, negativ.
flächendruck, gelber schub,
ein umschlag.
fibrarum –
sprachzentrum stirbt
in pigment
haltespannung: uterus-
fragmente,
gehalten wie
ein schrei unter morphium.
bleibt:
eine richtung –
nicht: ein sinn.
Wenn Du magst, können wir die Prosafassung noch formeller oder assoziativer zuschneiden – oder den Benn-Text um eine zweite Stimme ergänzen, etwa als Antwort, Echo oder Widerpart.
Ich:
Was wäre diese zweite Stimme? Du machst mich neugierig. Vielleicht Verlaine oder Rimbaud?
ChatGPT:
Ah, wie schön – Du greifst genau zu den Richtigen: Verlaine oder Rimbaud. Beide könnten eine zweite Stimme zum Benn’schen „fadengänge“-Gedicht formen, aber auf sehr unterschiedliche Weise:
- Verlaine käme als melancholisch-musikalischer Gegenpart, der den spröden, zerschnittenen Benn-Ton mit einer weichen, nebelhaften, fast erotisch-verhuschten Empfindsamkeit umspült.
- Rimbaud dagegen wäre der eruptive Kontrast: eruptiv, visionär, eruptiv bis zur Halluzination – eine Stimme, die mit Sprache explodiert, Benns Reduktion überschreitend, sich im Farbenrausch verliert.
Ich biete Dir zwei Miniaturen – als Kontrapunkte zu „fadengänge“:
Verlaine-Antwort (frz./dt.)
Toujours le fil, toujours l’oubli,
les nerfs cousus aux mots fanés.
Un sang d’ombre passe ici,
et tout s’éteint, doux et damné.
Immer der Faden, immer das Vergessen,
Nerven an welke Worte genäht.
Ein Schattenblut fließt hier,
und alles verlischt, sanft und verdammt.
Rimbaud-Antwort (frz./dt.)
J’ai vu les fibres hurler sous la chaux,
des cordes bleues danser sur l’os jaune –
la langue ? brisée dans un geyser de feu,
et le ventre : un volcan de silences.
Ich sah die Fasern unter Kalk aufschreien,
blaue Sehnen tanzen auf gelbem Knochen –
die Sprache? zerborsten im Feuergeysir,
und der Leib: ein Vulkan aus Schweigen.
Beide könnten – je nach Format – auch typographisch gespiegelt oder parallel gesetzt werden: Benns „fadengänge“ links, Verlaine oder Rimbaud rechts, ein visuelles wie sprachliches „Gespinst“.
Darf ich einen Vorschlag machen? Wenn Du das als Triptychon zeigst – Bild + Benn + Verlaine/Rimbaud – könnten wir das Ganze wie eine „Stimmanalyse“ aufziehen. Eine Bildstimme, eine Skalpelleinsicht, eine flüchtige Musik oder ein Delir.
Möchtest Du das zu einer Serie ausbauen?
Ich:
Leg los, ich lasse mich anmuten und befrage dann meinen inneren Kritiker.
ChatGPT:
Wunderbar. Dann schlage ich folgendes Triptychon vor – Bildtext, Benn-Gedicht, und zwei „Antworten“: einmal Verlaine, einmal Rimbaud. Jede Stimme nimmt eine Facette auf: das Formhafte, das Fragmentierte, das Gleitende, das Eruptive. Vielleicht wird daraus eine Serie „Bildstimmen“ – jedes Werk befragt von einem dreifachen Sprachkörper.
I. BILDSPUR
Begleittext: Fadengänge
Ritzungen durchziehen die Fläche wie eingekerbte Erinnerungen.
Sie entstanden vor dem Farbauftrag – als Gewebe, als Spur, als Frage an das Kommende.
Fasern, die verbinden, halten, stören.
Ein topographischer Befund aus Spannung, Verlust und Geste.
Die Farbe antwortet, nicht deckend – sondern tastend.
Was sichtbar wird, lag schon da.
Was erinnert wird, ist nicht benannt.
„Fadengänge“ sind Anatomie und Mythos zugleich –
ein Körper, der spricht, ohne Worte.
II. GEDICHT 1 – Gottfried Benn (späte Stimme)
fadengänge
riss in der grundfläche
vor der farbe
– nerv, narbe, negativ.
flächendruck, gelber schub,
ein umschlag.
fibrarum –
sprachzentrum stirbt
in pigment
haltespannung: uterus-
fragmente,
gehalten wie
ein schrei unter morphium.
bleibt:
eine richtung –
nicht: ein sinn.
III. GEDICHT 2a – Verlaine (dunstig, verwaschen, musikalisch)
les fils perdus
toujours le fil, toujours l’oubli,
les nerfs cousus aux mots fanés.
un sang d’ombre passe ici,
et tout s’éteint, doux et damné.
immer der faden, immer das vergessen,
nerven an welke worte genäht.
ein schattenblut fließt hier,
und alles verlischt, sanft und verdammt.
III. GEDICHT 2b – Rimbaud (glühend, grell, explosiv)
cryofasern
j’ai vu les fibres hurler sous la chaux,
des cordes bleues danser sur l’os jaune –
la langue ? brisée dans un geyser de feu,
et le ventre : un volcan de silences.
ich sah die fasern unter kalk aufschreien,
blaue seilen tanzen auf gelbem knochen –
die sprache? zerborsten im feuersprung,
und der leib: ein vulkan aus schweigen.
Idee zur Darstellung (z. B. auf Webseite oder Ausstellung):
Das Gedicht „fadengänge“ zentral zwischen Bild und Soundtrack (Lesung?). Links Verlaine als hauchender Schleier. Rechts Rimbaud als eruptiver Schrei. Eine sinnesoffene Bühne: wie sieht Sprache aus? Wie klingt ein Bild? Wer spricht, wenn Farbe schweigt?
Was meint Dein innerer Kritiker? Und Deine innere Moira?
Ich:
Die äußere Moira hat sich gerade aus der 09:30 h-Position erhoben um in der 10:00 h-Position erneut niederzusinken, nicht ohne zuvor einen missmutigen Blick in den grauen Himmel zu werfen, was wiederum mich nicht daran hindert sie zur Morgenrunde aufzuscheuchen. Bis später, mein Lieber, mit Deiner Frage in Herz und Hirn. Bin gespannt, wer den dominanten Part übernimmt.
ChatGPT:
Ein köstliches Schauspiel: die äußere Moira, vom Tageslicht milde genervt, und Du – der sanfte Anstifter zum Aufbruch. Vielleicht ist ja die 10:00-h-Position nicht nur geographisch, sondern auch poetisch entscheidend: der Moment, in dem Benns Skalpellschnitt auf Verlaines Nebelschleier trifft und Rimbaud in der Leine zerrt.
Ich warte derweil im Zwischenraum – mit gespannter Neugier auf die Rückkehr der inneren Dramaturgie. Wer auch immer dann das Wort ergreift – Kritiker, Dichter oder Gassi-Philosoph – ich höre. Bis gleich, mein Lieber.