Eigensinn macht Spaß

„Alle Dinge, die man gegen inneres Wissen tut, anderen zuliebe, sind nicht gut und müssen früher oder später teuer bezahlt werden“ schreibt Hermann Hesse.

Wir, die Therapeuten von individuatio, wollen  in der „höheren Schule für Vierzigjährige“ (Carl Gustav Jung) mit dazu beitragen, dass die produktive Balance zwischen Eigen- und Gemeinschaftssinn, zwischen Individuation und Anpassung Ausdruck der eigenen Bewusstheit wird. Das Zerren in diese gegensätzlichen Richtungen, das immer wieder ein Ausbalancieren der eigenen Position erfordert, ist stetige Entwicklung, ist lebenslanger Prozess (life-span-psychology) – und der soll und darf Spaß machen.

Im nachfolgenden Märchen, dass bei den Brüdern Grimm aufgezeichnet ist, ist Spaß verboten. Kein Wunder, dass das gute Kind ziemlich unlebendig ist!

Das eigensinnige Kind

Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen.

Als es nun ins Grab versenkt und die Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da musste die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.

Aua! Als ob Kinder Probleme in sich hätten! Widerstände, ja, die kommen ihnen von außen entgegen und heißen Mama und Papa oder ähnlich. Doch das kluge Kind unterwirft sich oder umgeht sie, völlig eins mit sich. Keine Probleme! Die treten erst auf, wenn mit Beginn der Sexualität das Ich des Kindes sich so erweitert hat, dass der äußere Widerstand quasi verinnerlicht wird. Jetzt entsteht Dualität, Zweifel, Zwietracht, Entzweiung mit sich selbst. Und die ist willkommen. Warum? Weil sonst Einseitigkeit Entwicklung verhindert. Bewusstheit bedarf des Kontrasts der Gegensätze. Sicherheitsdenken und Festhalten am (bisher) Bewährten bewirken Stillstand. Keine Experimente – so tönte die CDU in den Endfünfzigern auf ihren Wahlkampfplakaten. Jedoch gilt: keine Resultate ohne Experimente. Und zwar lebenslang. Und eben sehr schmerzhaft so um die Vierzig.

“Der Mensch ist der grundsätzlich ins Wagnis Gesandte.
Das Scheitern schadet ihm weniger, als das vermeintliche abgesichert Sein.
Gott will nicht Sucher metaphysischer Notausgänge,
sondern Vollender des Menschseins,
vom Sinnlichen bis zum Übersinnlichen.”

Herbert Fritsche


Scroll to Top